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Tilt-Shift-Objektive

Eingebaut und rein geschaut:

Tilt-Shift-Objektive sind wahre Spezialisten von Spezialisten für spezialisierte Fotografen. Wirklich populär geworden ist allerdings eher der reine Tilt-Effekt, bei dem wir meinen, eine Miniatur-Landschaft zu sehen.
Doch können diese Objektive erheblich mehr als nur das: Aus der Architekturfotografie sind sie nicht mehr weg zu denken und sie haben noch weitere Fähigkeiten in ihrem Gehäuse.

Diese wollen wir uns hier einmal genauer ansehen. Doch zunächst einmal werfen wir ein Blick auf die Technik selbst:

Tilt-Shift-Objektive
Abb.1 – Die Bedienelemente einer TS-Optik
1 – Tilt Achse

Die Tilt-Achse verändert die Schärfeebene. Das Kippen (= tilt) wird in Grad ° auf einer links-rechts-Skala angegeben und ist bei dem hier verwendeten Gerät um 8,5° je Richtung verschwenkbar (gelbe gebogene Linie); mit Hilfe der in Abbildung 1 gelb eingekreisten Rädelkopfschraube wird diese Einstellung vorgenommen. Genau gegenüber, hier auf der Unterseite des Tilt-Shift-Objektives, befindet sich eine weitere Rädelkopfschraube, mit welcher die Achse nach vorgenommener Einstellung fixiert wird.

Die gestrichelte gelbe Linie zeigt die hier vorhandene Rotations-Achse, mit welcher die Funktion um 90° verdreht werden kann – hierzu muss vorab der kleine Schalter im gestrichelten Kreis gelöst werden, welcher automatisch nach vollzogener Drehung wieder einrastet und sich feststellt. Somit kann der Tilt Mechanismus sowohl horizontal als auch vertikal benutzt werden. Das Verstellen erfolgt in drei Unterschritten zu je 30°; die Rastung erfolgt nur bei 0° oder 90°

2 – Shift-Achse

Hier werden die Tilt-Shift-Objektive verschoben, und zwar überwiegend horizontal. Die parallelen Linien an Gebäuden beleiben damit parallel, die Kamera muss nicht nach hinten gekippt werden, um hohe Gebäude vollständig abzubilden – die so genannten stürzenden Linien als Konsequenz bleiben aus. Verschoben wird das Objektiv auf einer gerade Achse, welche skaliert nach S(hift) + <-> – in mm ist. Dieses Objektiv bietet je Richtung 12mm.
Die Rädelkopfschrauben sind identisch wie bei der Tilt-Achse, ebenfalls ist ein 90° Drehmechanismus vorhanden, um z.B. sehr hohe Gebäude auch hochkant aufnehmen zu können. Eingezeichnet sind die Bedienelemente hier in grün.

Abb. 2 – Blick in das Objektiv.

Abbildung 2 stellt die verschiedenen Achsen zum besseren Verständnis einmal in Aktion dar. Neben dieser Außenansicht erlaubt uns das Bild auch, ein Blick in das Objektiv selbst zu nehmen. Gegenüber anderen Objektiven ist das Innere hier nicht verschlossen, da die Mechanik einen Spielraum zum Schwenken etc. benötigt. So wird dieser Teil nicht fest verschlossen bzw. verbaut.

Diese Öffnung macht die Objektive zwar flexibel, allerdings im Gegenzug auch anfälliger für Verschmutzung und Feuchtigkeit. Wenn die Mechanik beim Bedienen also knirscht, sollte das gute Stück von fachkundiger Hand auf ‘Sand im Getriebe’ untersucht werden.

3 – Betriebsmodus ‘M’

M – manuell. Zu den o.g. Dreh- u. Schwenkmechanismen des Objektives gesellt sich die Tatsache, dass diese TS-Objektive meistens keine Elektronik besitzen. Somit entfällt grundsätzlich der Autofokus schon einmal – und die Blendenwahl wird in der Regel auch manuell vorgenommen. Ein Autofokus wäre zwar technisch lösbar, jedoch wäre dieser so hochgradig komplex, da er mit der Veränderung im Objektiv mit bewegt werden müsste (Und dazu schlichtweg mit dem Tilten auch nichts anfangen könnte).

Da diese Objektive eh schon Spezialgeräte sind und nur eine kleine Nische bedienen, lohnt sich vermutlich für die Hersteller dieser Entwicklungsaufwand nicht. Weiterhin würden diese die Kosten an die Kunden weiter geben, womit die ohnehin schon recht hohen Anschaffungskosten solcher Geräte weiter steigen.
Das hier gezeigte Objektiv zum Beispiel besitzt keine elektrischen Kontakte und somit keinen Motor / CPU / Stabilisator. Und ehrlich gesagt: Es wiegt auch so bereits genug.
Ein kleiner Wermutstropfen: TS Objektive sind immer Festbrennweiten, also fällt das Gewicht für einen Zoomring und die zusätzlichen Linsen weg.

Nun sind es also vier Schrauben, vier Achsen, zwei Schalter, dazu der manuelle Fokus und die manuelle Belichtung wie Weißabgleich, ISO-Werte, Blende und Verschlusszeit. Damit nicht genug, erfordert wenigstens das Shiften eine exakte Ausrichtung der Kamera auf zwei Achsen mit einer Wasserwaage. Also muss ein Stativ her, am besten mit eingebauter Wasserwaage, um all dies überhaupt bedienen zu können. Und das nur, um ein paar Gebäude gerade abzulichten oder eine Miniatur-Landschaft vorzugaukeln? Kann ich doch auch beides per Software, oder?

Ja.

Und nein:

Darfs noch ein bisschen mehr sein?

Gleich vorweg: Keine Software ersetzt eine solche Hardware. Zwar kann beinahe jede günstige (und teurere) Fotosoftware speziell den Miniatur-Effekt nachbilden mit wenigen Klicks; ohne dieses Gimmek tritt fast kein Software-Hersteller mehr an. Auch lässt sich ein Gebäude mit stürzenden Linien wieder gerade hin stellen; Allerdings gehen solche Bearbeitungen, je nach Qualität des Algorithmus der Software, mehr oder weniger Stark zu Lasten der Aufnahme. Gebäude können gestaucht wirken, Schärfekanten zu hart und Bildinhalte gehen komplett verloren. Und: In diesem Artikel geht es hauptsächlich um Fotografie, weniger um Nachbearbeitung.

Abb. 3 – Bildausschnitt nach Sensorgröße: Vollformat in grün und zum Vergleich der kleinere APS-C in gelb

Natürlich ist so ein Objektiv schnell einmal mit € 1.500 Neupreis dabei; dazu verrennen Sie sich mitunter in der Brennweite: 17, 24, 35, 50, 90 und 135mm sind mir bei einer online-Suche gerade begegnet, das 135er dazu sogar noch als Macro. Das ist schon mal eine ordentliche Spanne.

Passen die zu meinem Sensor, oder schatten die Randbereiche so stark ab, so dass nur noch der Einsatz an einem APS-C Sensor in Frage kommt, obwohl es sich um ein Vollformat-Objektiv handelt? Siehe auch Abbildung 3 hierzu als Vergleich.

Ein Stativ mit einem entsprechend flexiblen Kopf und eventuell Arm kostet ebenfalls mehrere hundert Euro zusätzlich und macht das ganze Unterfangen denn sehr sperrig, dazu benötigt man am besten das Doppelte an Händen, besser noch mehr.

Da die TS-Objektive tatsächlich in Architektur- Landschafts- Produkt- und Macrofotografie, ja sogar manchmal in der Porträtfotografie, zu finden sind, ergibt sich hieraus schon der erste Hinweis auf die anzupeilende Brennweite. Zwar können Sie mit 17mm auch Portraits aufnehmen oder mit 135mm eine tiefe Gebirgs-Landschaft aus mehreren Dutzend Einzelaufnahmen, das ist ja Ihre Sache. Gehen tut es – ob es sinnvoll ist, müssen Sie selbst entscheiden.

Es lohnt sich somit der Weg zum Fachhändler.

Ich persönlich bevorzuge Foto Wiesenhavern in Hamburg (ist einfach seit Jahrzehnten “mein” Laden), welcher mittlerweile zur bundesweit niedergelassenen Foto-Gregor-Gruppe gehört. Oder Calumet – ebenfalls mit bundesweitem Filialnetz. Bei so einem Spezialgerät sollte ein vor-Ort-ausprobieren mit einem Fachmann selbstverständlich sein. Wie verhält sich das Gerät an ihrer Kamera? Ist die Brennweite das, was sie brauchen, wie ist die Haptik – und das Gewicht? Die verbauten Mechanismen wiegen eben deutlich mehr, als eine 50mm Festbrennweite ohne alles. Mit 600 – 1.200 g kann man rechnen. Das zu einem Vollformat Body, schon sind 1,5 – 2,0 kg in der Hand – die es fein auszurichten gilt.

Und: Was kostet mich der Spaß? Es gibt auch reine Shift Objektive, also ohne Tilt-Mechanismus. Diese kommen preislich etwas besser davon und sind meist etwas leichter – aber eben auch mit einer Funktion weniger unterwegs. Und dann war da ja noch das Stativ…

Aber: Eventuell haben Sie ja auch bereis ein Stativ? Ist zumindest bei Architekturfotografen oft Teil des Standard-Equipments – Stichwort Nachtfotografie. Oder ihr Händler hat gar ein gebrauchtes TS-Objektiv vorrätig für Ihr System? Hier lässt sich eine Menge Geld sparen – wenn Sie nicht vor gebrauchten Objektiven zurück scheuen. Diese haben in der Regel eine Überholung und Reinigung hinter sich und sind mit einer neuen Garantie ausgerüstet.
Hat eine andere Filiale ihres Fachhändlers ein passendes Gerät auf Lager? Fragen Sie ihren Händler, ob er dies hier her, in ihre Filiale senden lassen kann. Normalerweise sollte das kein Problem sein.

Tilt-Shift
Ein Schutzfilter ist eine sinnvolle Ergänzung

Ich verrate Ihnen etwas: Das abgebildete Gerät ist ein Samyang TS 24mm, f/3.5, Vollformat. Gewicht ca. 670g, für Nikon-Bajonett. Neu gekauft im Angebot beim lokalen Händler für unter € 700. Beim Schreiben dieses Artikels lag der Preis zwischen € 650 – € 890, je nach Händler. Und ich fotografiere übrigens überwiegend ohne Stativ.

Zusätzlich habe ich einen Schutz-Filter vor die Frontlinse montiert, da man bei 24mm dem Motiv doch an und zu recht nahe kommt und die Linse stark gekrümmt ist (siehe Bild). Wäre überaus ärgerlich, wenn diese zu Schaden kommt. Der Filter war, sehr hohe Vergütung, mit weiteren € 65 in der Anschaffung denn dabei.

Aller Anfang ist…?

Wie das? Dies Objektiv stellt zwar ein Einsteigermodell dar, aber ein ziemlich gutes. Auf das Für- und Wider dieses Objektives einzugehen ist nicht im Sinne dieser Seite, dafür gibt es Test- und Benutzerberichte auf entsprechenden Seiten.

Ich möchte damit nur einmal aufzeigen, dass es eben auch in diesem Preissegment möglich ist, gute Ergebnisse abzuliefern – und das mit vollem Funktionsumfang. Shift und ebenfalls Tilt ist vorhanden und beide Achsen sind zusätzlich um 90° drehbar. Eine 3.5er Blende ist bei der Brennweite von 24mm mit der entsprechend großen Frontlinse ein guter Wert. Offenblenden mit 2.8 finden sich meistens bei längeren Brennweiten, ab 35mm aufwärts.

Anfangs hab ich mich tatsächlich davon beeindrucken lassen, dass an dem Objektiv und bei dessen Einsatz zusätzlich an der Kamera sehr viel einzustellen und zu beachten ist (Wasserwaage, Parallelität). Und das dies nur auf einem Stativ überhaupt gelingen kann war direkt meine erste und logisch scheinende Annahme. Wie soll man sich denn auch freihändig ausrichten und dabei noch zig Achsen und Ringe bedienen?

Ganz einfach: Gar nicht. Ihr Motiv bewegt sich in der Regel nicht, sondern Sie bewegen sich – und zwar normalerweise so lange, bis die Richtige Entfernung und Perspektive (auch Höhe) gefunden ist. Im Optimalfall belassen Sie dann ihre Füsse auf dem gleichen Fleck, sind quasi selber das Stativ sozusagen und nehmen die entsprechenden Einstellungen am Objektiv und der Kamera vor. Mehr als eine Achse werden Sie vermutlich nicht zur gleichen Zeit einstellen. Dann Blende, WB, ISO, Fokussieren – eins nach dem anderen.

Abb. 4 – Parallel ausrichten ist das A & O beim Shiften
Tilt-Shift
Abb. 5 – die “Tanzenden Türme” auf HH-St. Pauli. Viel Erfolg beim Ausrichten

Wenn Sie nun alle Einstellungen vorgenommen haben, muss die Kamera “nur noch” ausgerichtet werden. Die meisten Kameras besitzen heutzutage digitale Wasserwaagen und können eine 2-achsige Waage im Display einblenden. Da das Ausrichten in der Regel beim Shiften von zu hohen Gebäuden die Hauptanwendung darstellt, können Sie sich aber auch am Gebäude selber ausrichten:
Mittels Raster im Display oder Sucher, das hat wirklich fast jede Kamera, können Sie diese Linien über die senkrechten Linien des Motivs legen und dann die Kamera schwenken bzw. kippen, bis die Linien parallel laufen. Sofern die Kamera beim Shiften “Im Wasser” ist, können Sie belichten.

Zugegeben: All dies von Hand vorzunehmen erfordert etwas Übung. Wenn Anfangs das Stativ noch als Sicherheit benutzt wird, bis sich der Schrecken vor der Einstell-Vielfalt verflüchtigt hat, dann ist das völlig normal.

Daneben gibt es aber auch Gebäude, die einfach keine brauchbaren senkrechten Linien aufweisen. Verwinkelt, rund, nach hinten laufend -an so manch einem Gebäude kann man sich schlichtweg nicht ausrichten. Hier sind Sie denn tatsächlich auf eine Wasserwaage angewiesen – hoffentlich hat Ihre Kamera eine dabei. Auf der anderem Seite treibt ein Gebäude wie in Abbildung 5 durchaus auch den Ehrgeiz des Fotografen an, hier trotz aller Winkel eine stimmige Aufnahme zu erstellen.

Und wenn Sie zu den Fotografen gehören, die bei Shift-Aufnahmen nie auf das Stativ verzichten werden, denn ist daran auch nichts Falsches. Auch hier ist der Weg das Ziel. Ich räume an dieser Stelle lediglich einmal mit der weitläufigen Meinung auf, dass Stative eine zwingende Voraussetzung für Tilt/Shift Fotografie sind. Das ist schlichtweg unwahr.

Das Eckige muss in Das Runde muss in das Eckige

Könnte man so sagen. Zumindest so lange wie Sucher, Display und Sensoren noch rechteckig und die Linsen in der Optik rund sind. Unsere Augen erfassen ein Motiv, lassen Sie es hier nun ein hohes Gebäude sein. Dieses kantige Etwas muss nun also über das runde Objektiv wiederum auf einen eckigen Sensor in der Kamera gebracht werden.

Abb. 6 – Bildkreis mit Motiv, zum Teil nicht zu erfassen
Abb. 7 – zwar parallel, aber zu nah dran.

Nur passt es eben einfach nicht vollständig auf das Bild, siehe Abbildung 6: Dies ist quasi ein Querschnitt durch das Objektiv (der so genannte Bildkreis), die grünen Linien stellen den Sensor dar. Das blaue Objekt ist hier unser Gebäude – es liegt über dem Bereich, der abgelichtet wird.

Neben stehend auf Abbildung 7 zur Verdeutlichung ein entsprechendes Bild dazu: Das Gebäude steht zwar gerade, ist parallel korrekt ausgerichtet, aber die oberen Etagen sind nicht zu sehen.

Und nun folgt ohne Tilt-Shift Objektiv das Unvermeidliche: Die Kamera wird nach hinten gekippt, womit der Sensor selbst nicht mehr absolut parallel zum Motiv steht. Dadurch befindet sich der untere Teil des Sensors immer dichter an dem Motiv dran, als der obere Teil. Abbildung 8 zeigt die schematische Darstellung des Kippens. Auch wenn die langen Kanten des Sensors sich mit nur 24mm Abstand gegenüber liegen:

Bedenken Sie, im Vollformat bei der hier verwendeten Nikon D750 entsprechen 24,00mm ganz genau 4000 einzelnen Bildpunkten. Da macht sich eine solche geometrische Veränderung durchaus bemerkbar – und das nicht gerade gering:

Fluchtpunkte
Abb. 8 – Durch kippen der Kamera kippt das Motiv.
Abb. 9 – Kamera gekippt, alles drauf. Und wie..

Im Grunde wirkt der Sensor nun wie ein nach hinten kippender Trapez. Am Motiv macht sich diese Physik gegenteilig bemerkbar: Was weiter oben ist, hat mehr Distanz zum Sensor und wird dadurch kleiner abgebildet als das, was weiter unten ist. Parallel ausgerichtet werden kann in dieser Stellung nichts mehr. Die stürzenden Linien sind das Ergebnis dieser Aufnahmetechnik. Linien, die nach hinten weg zu kippen scheinen und auf einen Fluchtpunkt zulaufen, siehe Abbildung 9 in Natura.

Ohne Spezialgerät ist hier nicht viel Staat zu machen – es sei denn, Sie möchten die Motive per Hand wieder gerade biegen in der Bildbearbeitungssoftware. Ich werde an dieser Stelle lieber mit ein paar technischen Erläuterungen weiter machen:

Die Fläche der Sensoren ist begrenzt, der Bildkreis der Objektive ist für die jeweiligen Sensoren gerechnet und optimiert. Je mehr Fläche der Sensor bietet, desto mehr Bild und vor allem Licht muss die Optik dort hin bringen, was in der Regel mit einem größeren Bildkreis verbunden ist. Vollformat Kameras haben eine Sensorgröße von 36 x 24mm und entsprechen somit dem Kleinbildfilm der analog-Kameras von ‘damals’. Daneben gibt es die APS-C Sensoren, welche ein wenig kleiner sind und je nach Hersteller in der Größe variieren, Mittelformat- sowie Großformat Kameras. Die letzteren Beiden weisen deutlich höhere Aufnahme-diagonalen auf als Vollformat Kameras.

Tilt-Shift
Abb. 10 – Größerer Bildkreis
Tilt-Shift
Abb. 11 – komplett

Und dort setzt ein Tilt-Shift-Objektiv an: Es bietet einen deutlich größeren Bildkreis, als für den Sensor erforderlich wäre. Durch den größeren Bildkreis können die Bildinformationen aus einer anderen Richtung auf den Sensor gelenkt werden; diese kommen dann nicht mehr frontal, sondern mit Versatz .

Die Abbildung 10 zeigt, wie das Shiften schematisch funktioniert: Das Objektiv kann den genutzten Bildkreis so verschieben, dass es wirkt, als würde der sich der Sensor selbst auf dem Bildkreis bewegen und somit an die erweiterten Randbereiche bewegt werden. Letztlich bewegt sich aber der Bildkreis selbst gegenüber dem Sensor – hier nur vereinfacht dargestellt.
Der größere Bildkreis ist auch für das Tilten notwendig, da hier die Achse über einen Winkel geführt “geschwenkt” wird. Doch dazu weiter unten mehr.

Klassischer Weise kommt das Shiften wie gesagt vor, wenn stürzende Linien vermieden werden sollen. Im übrigen ist “Vermeiden” der richtige Ausdruck, auch wenn sich mitunter Begriffe wie beheben, korrigieren, etc. dafür in den Köpfen befinden. Das ist schlichtweg nicht korrekt, denn es wird nichts behoben etc., weil es gar nicht erst entsteht (als Datei z.B.) – siehe auch Abbildung 11, das nunmehr korrekt abgebildete Gebäude.

Wohlgemerkt ist es auch öfter gar nicht gewollt, dass die Gebäude schnurgerade sind. Besonders im Bereich der Ultra- bzw Superweitwinkel, unterhalb von ca. 21mm Brennweite (bzw. mehr als 90° Bildwinkel), werden extrem stürzende Linien als bildgebendes Element vorsätzlich erzeugt und buchstäblich auf die Spitze getrieben.

Das allerdings erkennt man an solchen Bildern auch; während in Kauf genommene oder übersehene stürzende Linien ebenfalls als solche zu erkennen sind und insgesamt einen unsauberen Eindruck vermitteln.

Doch auch der reine Shift-Mechanismus hat noch mehr drauf, als nur Gebäude richtig abzubilden. Durch das Verschieben nach unten z.B. kann dem Fußboden mit deutlich mehr Präsenz im Bildaufbau bedacht werden, als aus Ihrer persönlichen Standhöhe. Oder die Decke eines Gebäudes bzw Bauwerkes. In beiden Fällen bleibt durch das Verschieben auch wieder die Parallelität erhalten und ich muss die Kamera nicht nach oben oder unten kippen mit bekannten Folgen.

Diese Mini-Galerie zeigt es etwas genauer:

Letzten Endes könnte aus diesen drei Tunnel Aufnahmen auch ein hochkant Panorama erstellt werden, was das Shiften in der Landschafts-Fotografie um eine interessante Möglichkeit erweitert.

Das seitliche Verschieben des Bildkreises funktioniert ebenfalls so, wie auf Abbildung 10 gezeigt. Auch damit wird die Wirkung erzeugt, als stünde der Fotograf vor Etwas, wo er in Wirklichkeit nicht stehen könnte. Bzw. steht eben nicht vor Etwas, obwohl er dort stand. Überspitzt gesagt: Der imaginäre Standpunkt des Fotografen ließe sich auf die mittlere Spur einer Autobahn verlegen oder ein Schaufenster frontal aufnehmen, ohne dass der Fotograf im Anschluss zu sehen wäre und mühsam raus retuschiert werden müsste.

Auch wird es früher oder später dazu kommen, dass Sie keinen größeren Abstand zu einem Motiv einnehmen können, als für eine vollständige Erfassung nötig wäre – selbst mit Shift Funktion nicht ausreichend ist. Das Motiv wird immer noch oben “abgeschnitten”, während der Boden an sich uninteressant aber im Bild ist, oder es kippt eben nach hinten.

Beispiel: Ein Wolkenkratzer, von Häuserfronten umgeben, welche mit stark befahrenen Schnellstraßen durchzogen sind. Hier weiter nach hinten zu gehen, um mehr Motiv in den Sucher zu bekommen, endet im besten Fall an einer Wand. Oder, wenn es nicht so gut lief, mitten in der Rush-hour auf einer Hauptverkehrsstraße.

Hier kann es helfen, ein wenig an “Höhe zu gewinnen”: Geht es zu der Bücherei oder dem Rathaus in der Nähe mittels Treppenstufen zu dessen Eingang hinauf? Worauf warten, nichts wie hoch dort – 20 Treppen an Boden gut gemacht und schon sind Sie näher an er Höhe des Motives dran, während der unwichtigere Boden weniger präsent im Bild erscheint.

Nur eine von vielen Möglichkeiten. Und wenn es denn nun gar nicht mehr höher hinaus geht, ohne bei wildfremden Leuten zu klingeln und um den Zugang zu dessen Balkon zu bitten: Eine gerade eben noch so erreichte Gebäude-Spitze hab ich auf einer Parkbank auf Zehenspitzen mit ausgestrecktem Arm zu fassen bekommen. Die Ausrichtung erfolgte dabei tatsächlich mittels Display: Ist die Kamera im Wasser, werden beide Achsen bei mir grün statt gelb angezeigt.

Das war denn so das letzte, was ich noch erkennen konnte – und auf den Auslöser gedrückt habe.

Tilt – hoffentlich nur das Objektiv

Die Tilt Funktion wird oftmals als mehr oder weniger teures Spielzeug abgetan. Und das ist erst einmal nicht so weit her geholt, wenn man sich die Aufnahmen mit Miniatur-Effekt ansieht. Allerdings ist und war es immer die Aufgabe der Fotografie, mit unserer Wahrnehmung zu spielen, uns zu verwirren oder zu täuschen – ja, sich mit dem Bild zu beschäftigen. Was sehe ich hier und warum sieht das so aus, wie es aussieht?

Abb. 15

Der Mensch ist eine Spezies, die von Konditionierung lebt. Dies sorgt dafür, dass Bildinformationen durchaus fehlen können – wir den Rest vollautomatisch hinein interpretieren. Sehen Sie sich auf Abbildung 15 den jungen Bock hinter dem Baum an: Das Tier ist beim Übergang zwischen Fell und Baumrinde ja nicht zu Ende.

Entweder steckt es in dem Baum, was recht unwahrscheinlich ist, oder es steht dahinter. Ein Blick reicht und wir habend die tatsächliche Länge des Tieres längst verinnerlicht. Das Tier hat ein Erkennungsmuster – und wir sind Muster-Erkenner.

Aber auch die jeweilige Umgebung ist konditioniert: Was wäre, wenn die Sichtbare Fläche des Tieres nun statt ‘aus-dem-Baum’ aus einer schräg verlaufenden Wand in 2,5m Höhe ragen würde? Dort würden wir keinen weiteren Verlauf hinein interpretieren, es eher für eine Jagdtrophäe halten.

Und so ist ebenfalls bei uns konditioniert, wie die Schärfe in Natura auszusehen hat, unser Blickwinkel liegt und ob Farbe / Kontrast dem Abgleich mit der Wirklichkeit standhalten. Aber warum konditionieren wir überhaupt? Im Gegensatz zu Objektiven und Kameras für mehrere zehntausend Euros sind unsere Augen und unser Gehirn wahre Hochleistungsgeräte. Und solche Geräte benötigen eine gewisse Logistik in Sachen Energieverfügbarkeit und -bereitstellung.

Dies ist nur kontinuierlich zu leisten, indem die Körperfunktionen auf das gerade Notwendige reduziert werden. Der Körper ist faul – und das Gehirn erst recht. Gearbeitet wird nur, wenn es unbedingt notwendig ist.

Zum anderen ist diese Konditionierung auch den Zeitaltern geschuldet, als wir noch in Höhen oder auf Bäumen lebten – und keinesfalls an der Spitze der Nahrungskette standen wie heute – sondern ganz weit unten. Langsam, nackt, keine guten Kletterer, schwimmen konnten wir erst recht nicht, unserem Essen mussten wir mühsam hinterher rennen oder es pflücken, wenn noch etwas Essbares an Busch & Baum zu finden war. Da war sehr wohl lebensnotwendig, eine Großkatze hinter einem Baum oder im hohen Gras auszumachen, bevor diese in Gänze vor einem Stand und man selbst zur Mahlzeit wurde.

Beim ’tilten’, mit schräger Sicht von oben auf starke Schärfe-Unterschiede, zu viel Farbe und Kontrast, sagt uns das Gehirn: Das is ne Miniatur. – Irrtum. Mission Täuschung: Erfolgreich.

Fahrzeuge auf Schiene und Straße, Menschen, Bäume, Gebäude – alles, was sie auf einer Modellbahnanlage zu sehen bekommen können, können Sie in Natura mit dem Tilt-Mechanismus so ins Szene setzen, dass es aussieht wie eine Minatur:

Wie Sie anhand der beiden Beispiele heir in Abbildung 16 u. 17 sehen können: Je steiler der Winkel, desto Miniatur. Von einer Brücke herab oder durch einen offenen und mehrstöckigen Bahnhof, wie den Berliner Hauptbahnhof zum Beispiel. Frontal wird es schwieriger, wenn auch nicht unmöglich. Wir erwarten eben nicht, uns mitten in einer Modell-Landschaft wieder zu finden – oder womöglich noch unterhalb derer.

Tilt-Shift
Abb. 18 – Gebäude auf Augenhöhe

Ebenfalls sind monochrome Aufnahmen nicht sonderlich gut zum tilten geeignet – eben, weil unser Gehirn Farbe in der Miniatur erwartet. Die Schärfeebene auf eine Gebäudefront wie in Abbildung 18 gezeigt zu legen ist übrigens für eine Miniatur glaubhafter, als es ein Wolkenkratzer wäre. Natürlich lässt sich auch eine Reihe moderner Gebäude mit Stahl-Glas-Kombi glaubhaft darstellen.

Allerdings nicht ganz so einfach, weil die hier gezeigten Gebäude sich typischerweise in so ziemlich jeder Modellwelt wieder finden werden. Und alte Gebäude, am besten noch Fachwerkhäuser, brauchen Sie in der Regel auch nicht auszurichten, da diese charmant windschief sein können.

Mit der Tilt-Funktion können Sie die Schärfeebene verschwenken. Und das ziemlich beliebig, insbesondere wenn die Achse zusätzlich drehbar ist, siehe Abbildung 1 ganz oben. Die Ebene kann dabei sinnvoll und sehr unauffällig dafür sorgen, dass wir mit Offenblende einen sehr weiten Bereich scharf erfassen können, wie es sonst nur mit fast vollständig geschlossener Blende der Fall wäre.

Abb. 19 – Schärfeverlauf verdreht.

Allerdings erlaubt uns diese Funktion auch, die Schärfe so auszurichten, wie man sie nun nicht erwarten würde. Auf der einen Seite wirkt ein solches Bild erst einmal nicht ungewöhnlich, weil die Schärfe unser Auge führt in dem Moment. Ist das Auge dem Verlauf gefolgt, betrachtet es für gewöhnlich erst die unscharfen Bereiche. So kann die Unschärfe dort gefunden werden, wo sie nicht erwartet würde.

In Abbildung 19 ist ein Anleger im Hamburger Hafen zu sehen – und die Schärfe liegt vertikal in der Bildmitte und reicht diese augenscheinlich bis zu dem Schiff am Ende des Überganges durch. Während die Randbereiche, ganz gleich in welcher Entfernung, komplett unscharf sind.

Das ist so nicht vorgesehen in unserem Gehirn – und auch normalerweise nicht in der Fotografie möglich. Hier macht man sich die grundsätzliche Eigenschaft eines Fotos zunutze, dass es eben zweidimensional ist. Dadurch kann die Schärfe, wie hier, hochkant gelegt werden und der eigentlich erwartete Verlauf wird übergangen. Der scharfe Bildmittelpunkt ließe sich hier durch die Verwendung einer weiter geöffneten Blende auch noch weiter von den Bereichen oben und unten abtrennen, womit sich der Effekt weiter eingrenzen ließe. Der so erzeugte Schärfebereich findet z.B. in der Hochzeitsfotografie Verwendung.

Abb. 20 – Asymmetrische Schärfe

Zu guter Letzt noch ein eigentlich völlig profanes Bild von einem Fußweg auf einer Brücke in Abbildung 20. hier wurde die Schärfe von links unten mit einem zunehmenden Verlauf nach rechts oben gelegt, links und rechts die Bildelemente bleiben Anfangs unscharf, und die Bewehrung auf der Brücke rückt etwas oberhalb der Bildmitte in den scharf gestellten Bereich – wie auch die Fußgänger voraus.

Auch dies ist ein unnormaler Schärfeverlauf, welcher wohlgemerkt zur Betonung oder als Stilmittel eingesetzt werden kann.

Fazit:

Der erste Satz dieses Artikels kann an dieser Stelle nur noch einmal wiederholt werden. Ein solches Gerät ist nichts für den reinen People-Fotografen oder die ‘Hobby-Hau-Druff-Liga’. Die Sport- u. Actionfotografie gehört auch nicht zum Einsatzzweck eins Tilt-Shift Objektives. Es richtet sich in erster Linie an die Architektur- und in zweiter Linie Landschaftsfotografen. Hier darf bzw. sollte ein solches Gerät nicht fehlen.

Man sollte sich bei Kauf-Erwägungen darüber im Klaren sein, dass Objektiv UND Kamera vollständig manuell bedient werden (müssen). Es kann einen durchaus frustrieren, wenn man meint, alles bedacht zu haben – und denn doch die Verschlusszeit zu gering war oder die vergessene ISO Automatik einem ein Strich durch die Belichtungszeit gemacht hat. Das passiert.

Seine Kamera vorher schon besser genauer kennen ist unentbehrlich. Ein DSLR-Neuling, der sich gleich in diese Gefilde vorwagt, ist zumindest mutig und sollte eine hohe Frustrationstoleranz mit bringen. Unerheblich finde ich hingegen, welcher Sensortyp zum Einsatz kommt. Zwar, wie oben beschrieben, gibt es Objektive mit einer so starken Rand-Abschattung, dass man entweder im Vollformat sowieso nur mit Vignettierung fotografieren möchte, oder es einem egal ist, weil man eh einen APS-C Sensor hat.

Natürlich nehmen die Vollformate mehr auf; aber das kann besonders hier vernachlässigt werden. Einzig sollte man den Crop-Faktor von ca. 1,6 des Objektives bedenken. Im Beispiel von 24mm bleibt natürlich die Brennweite des Objektives auch bei 24mm, allerdings bleibt nur ein Bildausschnitt pro Aufnahme übrig, der bei APS-C in etwa 38mm entspräche.

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